Vitali Klitschko:

Vitali Klitschko © Stadt Leipzig/ Stefan Hoyer

Demokratie: Was bedeutet das für mich?

Liebe Freunde!

Es ist mir eine große Ehre, liebe Leipzigerinnen und Leipziger, heute über ein so wichtiges Thema, nämlich die Demokratie, zu Ihnen zu sprechen.

Ich bin in einem totalitären Land geboren und aufgewachsen - der Sowjetunion. Und obwohl ich meine ganze Kindheit und Jugend dort verbrachte, habe ich keine Sehnsucht nach dieser Zeit.

Weil es ein Land war, in dem die Menschenrechte vernachlässigt wurden. Wo Freiheit und Demokratie nur auf dem Papier existierten.Sie gedenken und feiern heute die Friedliche Revolution vom Herbst 1989. Der Aufbruch ging von Leipzig aus und erfasste die ganze DDR.

Wir Ukrainer hatten auch den Wunsch, in unserem eigenen, unabhängigen, wirklich demokratischen und freien Staat zu leben, niemals aufgegeben. Unzählige meiner Landsleute wurden Opfer politischer Repressionen, sie haben im letzten Jahrhundert ihr Leben für die Verwirklichung dieses Ideals gegeben. Ukrainische Patrioten wurden in Gefängnissen gefoltert, ausgehungert, erschossen.

Mein Volk hat einen hohen Preis für die Unabhängigkeit seines Staates bezahlt. Für das Recht, darin eine Demokratie aufzubauen. Es ist ein unschätzbares Gut! Bauen Sie weiter das Land, von dem wir noch träumen, dass wir auch einmal darin leben können!

Wissen Sie: Ich bin ein ehemaliger Boxer. Ich widmete den größten Teil meines Lebens dem Sport. Und ich kann sagen, dass Boxen und Demokratie eines verbindet – ohne Kampf, Wunden und Enttäuschungen, ohne echten Kampf gibt es keinen wirklichen Sieg!

Um zu gewinnen, musst du durchhalten, hart arbeiten, niemals aufgeben und an dich glauben. Glauben auch Sie an Ihr Land!

Wir alle wissen, dass wir für die Demokratie hart arbeiten müssen. Auch wenn sie einmal aufgebaut ist, müssen wir um ihren Erhalt ringen. Wir müssen ihr Fundament jeden Tag stärken und bildlich gesprochen jeden Stein dieses Fundaments weiter pflegen.

Die Ukraine, ihre Gesellschaft, jeder Bürger meistert heute die Herausforderungen auf dem Weg zu einer echten, lebendigen Demokratie. Wir verteidigen weiterhin unsere europäische Wahl. Wir haben heute die Chance zum Aufbau eines modernen und starken Staates auf der Grundlage demokratischer Werte.

Die Volksproteste vom November 2013 bis Februar 2014 kennen Sie unter dem Begriff Euromaidan oder besser noch als die Revolution der Würde.

Dank dieser Revolution der Würde und des Kampfes gegen die russische Aggression haben wir erkannt, dass wir für die Freiheit kämpfen müssen. - Immer und kompromisslos!

Und zu unserem Sieg in der Konfrontation mit dem autoritären Russland gibt es keine Alternative!

Seit 2014 haben fast 32.000 Kiewer den Krieg in der Ostukraine erlebt. Leider sind 400 unserer heldenhaften Verteidiger gestorben. Ich rede hier nur von den Kiewer Gefallenen!

Ich möchte betonen, dass es nicht nur um militärische Aggression und die Besetzung eines großen Teils der Ukraine geht. Es geht um mehr.

Lassen Sie mich erklären, was ich meine.

Zwei polare Ideologien stehen sich in unserer Region gegenüber. Es geht um die Konfrontation von Demokratie und Autoritarismus. Russland versucht immer wieder die Ukraine in sein Einflussgebiet hineinzuzwingen.

Aber mit der Revolution der Würde zeigte das ukrainische Volk, welchen Weg es wählen wollte. Es demonstrierte für das europäisches Modell, das auf den demokratischen Werten basiert. Für diese Wahl, für diese Ideale starben damals 100 Menschen.

Wir nennen sie heute die Helden der Himmlischen Hundert. Und auch heute geben unsere Soldaten im Osten der Ukraine ihr Leben genau dafür.

Die Ukraine ist ein Land in der Mitte Europas. Und die Stabilität ganz Europas hängt von der Stabilität in unserem Land ab. Wir dürfen es nicht vergessen.

Aus diesem Grund ist die Europäische Gemeinschaft sicher daran interessiert, dass die Ukraine erfolgreich auf dem Weg zu einer reifen und wirksamen Demokratie voranschreitet. Dies ist natürlich ohne systemische Reformen, ohne die Umgestaltung fast aller Bereiche unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens nicht möglich.

Dementsprechend erlegt dies jedem Ukrainer zusätzliche Verantwortung auf. Schließlich hängt die Zukunft der Ukraine vom Bewusstsein und den Bemühungen jedes Bürgers ab.

Dies ist auch mein Grundverständnis als Bürgermeister von Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Für diese demokratischen Überzeugungen stehe ich seit meiner Wahl, unmittelbar nach der Revolution der Würde.

Ich bin auch überzeugt, dass ich und mein Team in dieser Zeit viel getan haben, um Kiew zu einer europäischen Stadt zu machen, die sich dynamisch entwickelt und positive Veränderungen umsetzt.

Eine der wichtigsten Richtungen für uns ist die Entwicklung der direkten Demokratie und der kommunalen Selbstverwaltung. Es geht uns vor allem um die Beteiligung der Bürger an der Verwaltung von Kiew, ihrer Mitwirkung und Mitgestaltung.

Zu diesem Zweck hat die Hauptstadt Kiew als erste unter den ukrainischen Städten, Instrumente der E-Demokratie eingeführt, damit jeder Einwohner Kiews aktiv an der Entwicklung seines Bezirks und seiner Stadt teilnehmen kann. Alle Menschen sollen
Vorschläge machen und nützliche und interessante Projekte umsetzen.

Darauf zielt auch das von uns eingeführte System des Smart City Managements ab. Unsere Bewohner können so elektronische Petitionen einreichen und für die Projekte des "Öffentlichen Haushalts" abstimmen.

Übrigens ist der öffentliche Haushalt bei Kiewern sehr beliebt. Durch ihn wurden mehr
als tausend von Kiewer Einwohnern initiierte Projekte umgesetzt.

Das System der elektronischen Petitionen ermöglicht es, dem Stadtrat von Kiew öffentliche Initiativen vorzulegen. Am beliebtesten sind heute Petitionen in den Bereichen Verkehr, Umweltschutz und Landschaftsbau. Ein wichtiger Bestandteil der
Bürgerdiplomatie sind öffentliche Anhörungen, in denen die drängendsten Fragen der Stadtentwicklung erörtert werden.

Ich bin überzeugt, dass ohne die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung, die Ausweitung der Befugnisse, des Zuständigkeitsbereichs der lokalen Behörden eine demokratische Entwicklung des ganzen Landes nicht möglich ist.

Politischer Kampf, freier Wettbewerb von Ideen und Meinungen sind Bestandteile der Demokratie.

Und leider gibt es in der Ukraine heute Tendenzen, die mich beunruhigen. Insbesondere geht es um die Einschränkung der Dezentralisierungsreform, die Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltungsbefugnisse und den Versuch, eine starre Machtvertikale wieder aufzubauen. Ich bin überzeugt, dass solche Bemühungen gefährlich sind, weil sie die ukrainische Gesellschaft in die Vergangenheit ziehen, der wir zu einem so hohen Preis entkommen sind...

Und das Letzte, was ich heute betonen möchte. Ich betone immer, dass niemand außer uns selbst - den Ukrainern - unsere Gesellschaft und unseren Staat verändern
wird.

Gleichzeitig ist es sehr wichtig, dass wir auf der Unterstützung und die guten Beispiele unserer Freunde und Partner in der Gemeinschaft demokratischer Nationen aufbauen. Dies ist ein sehr wichtiger Teil unserer Zusammenarbeit mit unserer Partnerstadt Leipzig. Ihre Ideen zum Beispiel bei der Stadtentwicklung spornen uns an, weitere Schritte zur Entfaltung der noch jungen ukrainischen Demokratie zu unternehmen.

Vielen Dank für Ihre Zusammenarbeit, für Ihre Unterstützung und Sie können immer auf mich als zuverlässigen Freund zählen!

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